Das Unglück in der Atomanlage Fukushima 1

(Mit Nachträgen vom 26.05.2012 und 20.03.2013)

Kompakt:

  • Durch das Erdbeben am 11. März 2011 wurde bei allen Blöcken der Atomanlage Fukushima 1 planmäßig eine Schnellabschaltung ausgelöst.
  • Durch den vom Beben ausgelösten Tsunami wurde die gesamte Notstromversorgung der Blöcke 1 bis 4 zerstört, dadurch war keine Kühlung der Reaktoren mehr möglich, die Brennstäbe erhitzten sich und es kam zur Kernschmelze mit Freisetzung von radioaktiven Stoffen.
  • Durch chemische Reaktion der Brennstabhüllen mit dem Kühlwasser bildete sich Wasserstoff. Dieser explodierte und beschädigte die Reaktorgebäude schwer.
  • Die Radioaktivität gelangte ins Freie. Im Umkreis von 20 km mussten alle Bewohner evakuiert werden.
  • Ausschlaggebend für den schlimmen Schadensverlauf war, dass der Betreiber TEPCO an der Sicherheit gespart und stattdessen einen Teil seines Gewinnes einsetzte, um u. a. Politiker und Professoren für seine Ziele einzuspannen (Korruption!).
  • Deutsche AKWs sind nicht durch Tsunamis bedroht, dennoch sollten Maßnahmen (soweit nicht schon geschehen) für den Fall geplant werden, dass die Notstromversorgung und Teile im Maschinenhaus komplett ausfallen.

Die japanische Atomanlage Fukushima-Dai-ichi ( Fukushima 1) liegt direkt an der Ostküste des Pazifiks ca. 60 km von der Stadt Fukushima (ca. 290.000 Einwohner) entfernt und wird von der Firma TEPCO betrieben. Es gibt ca. 12 km südlich von Fukushima-Dai-ichi, ebenfalls am Meer, noch die weitere Atomanlage Fukushima-Dai-ni (Fukushima 2) mit 4 Blöcken, die zwar auch vom Tsunami überflutet wurde, bei der dann aber die Notkühlung wieder in Gang gesetzt werden konnte, so dass dort der Zustand jetzt stabil ist. Die Anlage Fukushima 1 besteht aus den Blöcken 1 bis 6, wobei sich immer 2 Blöcke in einem Reaktorgebäude befinden. Die Anlage Fukushima 1 wurde in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts nach einer von der amerikanischen Firma General Electric entworfenen Baureihe gebaut. Außerdem befinden sich auf dem Gelände Abklingbecken (mit Wasser gefüllte Becken, in denen die verbrauchten Kernbrennstäbe gelagert werden). Zusätzlich befindet sich im Obergeschoss der drei Reaktorgebäude - also über den Reaktoren - je ein Lagerbecken /wikipedia/.

Am 11. März 2011, um 14:46 Uhr Ortszeit, ereignete sich ein sehr starkes Seebeben (Stärke 9 auf der Richterscala) vor der Küste, wo sich die Atomanlage befindet. Bei allen Reaktoren dieser Anlage wurde planmäßig beim Beben eine Schnellabschaltung ausgelöst (Block 4 war vorher schon außer Betrieb). Durch das Seebeben wurde ein Tsunami ausgelöst. Dessen rund 14 m hohe Hauptwelle hat die Anlage ca. eine Stunde später überrollt. (Vorher kamen schon kleinere Wellen.) Die Anlage war jedoch nur gegen eine Welle von 10 m Höhe durch eine Mauer geschützt. Durch die Hauptwelle wurde die gesamte Notstromversorgung - also alle Stromgeneratoren- für die Kraftwerksblöcke 1 bis 4 der Atomanlage Fukushima 1 und die Verbindung zum japanischen Stromnetz zerstört. Die Folge: Die Anlage war ohne elektrischen Strom, das Schlimmste, was neben einer Zerstörung der Reaktoren überhaupt passieren kann. Wegen des Ausfalls der Stromversorgung konnten die Reaktoren 1 bis 3 nicht mehr gekühlt werden, im Reaktor des Blocks 4 befanden sich wegen einer Revision zum Zeitpunkt des Bebens keine Brennstäbe. Diese befanden sich im mit Wasser gefüllten Lagerbecken oberhalb des Reaktors. Deshalb war zwar für den Reaktor des Blockes 4 keine Notkühlung erforderlich, aber das Wasser des Lagerbeckens über dem Reaktor musste ständig gekühlt werden.

Das Gebäude für Block 5 und 6 lag einige 100 m entfernt von den anderen Blöcken. Von den fünf dort vorhandenen Notstromdieselgeneratoren blieb einer intakt. Dieser reichte aus, die Reaktoren 5 und 6 funktionsfähig zu halten.

Inzwischen sind auch wir der Meinung, dass sich die Brennstäbe in den Blöcken 1 bis 3 so stark erhitzt haben, dass vermutlich das Material (Zirkon), mit dem die Brennstäbe ummantelt sind, mit dem Wasser im Reaktor chemisch reagiert hat. Dabei entstand Wasserstoff, der sich in den beiden Reaktorgebäuden sammelte, dann explodierte und das Gebäude um die Reaktoren 1 und 2 sowie das Gebäude um die Reaktoren 3 und 4 schwer beschädigte, so dass sie zum Teil offen sind. (Wir glauben nicht mehr, dass „nur“ Hydrolysegas im Reaktor explodiert war, s. unseren früheren Artikel.) Es wurden außerhalb der Atomanlage radioaktives Jod und Cäsium gemessen und auf dem Anlagengelände weitere radioaktive Stoffe nachgewiesen, die nur aus den Brennstäben stammen können. Das weist darauf hin, dass zumindest einige Brennstäbe geschmolzen und auch die Reaktordruckbehälter undicht geworden sind /Link/. Der Wind wehte einen großen Teil der ausgetretenen radioaktiven Stoffe auf den Pazifik. Im Moment scheint die notdürftig und provisorisch eingerichtete Kühlung der Reaktoren einigermaßen zu funktionieren. Allerdings scheinen die Rohre so empfindlich zu sein, dass sie selbst durch wachsendes Gras(!) beschädigt werden können (ZDF-Fernsehsendung vom 07. März 2012: „Die Fukushima-Lüge“). Außerdem scheint es sich dabei nicht um geschlossene Kühlkreise zu handeln, so dass vermutlich große Mengen radioaktiv verseuchtes Wasser ins Grundwasser und ins Meer gelangt sind. Es ist zu befürchten, dass bei einem neuen starken Erd- oder Seebeben die Notkühlung zerstört wird und erneut große Mengen radioaktiver Stoffe ins Freie gelangen werden. Eine große Gefahr bilden dabei drei Lagerbecken, die voll mit Brennstäben gefüllt und kaum geschützt sind. Wird eines davon undicht und verliert das Wasser, dann kann es dort auch zur Kernschmelze kommen und im Unterschied zu den Reaktoren können radioaktive Stoffe nahezu   u n g e h i n d e r t  in die Umgebung gelangen.


Ausgetretene Radioaktivität

Da die radioaktiven Stoffe in Fukushima 1 langsamer als in Tschernobyl ausgetreten sind, konnte die Bevölkerung rechtzeitig aus einem Bereich, der sich bis zu 20 km Abstand von der Anlage Fukushima 1 erstreckt, evakuiert werden. Dieser Bereich ist zur Sperrzone erklärt worden. Im Bereich ab 20 km bis 30 km sind je nach Richtung von Fukushima 1 im Notfall ebenfalls Evakuierungen geplant. Bisher ist noch niemand an den Folgen der Strahlung gestorben. Gegenüber dem Unfall von Tschernobyl sind die Auswirkungen wesentlich geringer. Allerdings ist zu befürchten, dass Personal, das nach dem Unglück in der Anlage tätig war, an den Spätfolgen der Strahlung erkranken und sterben kann.

Zurzeit ist die Bevölkerung im Raum Fukushima durch die Folgen des Seebebens und des darauf folgenden Tsunamis weitaus mehr geschädigt worden als durch den Atomunfall. Sehr viele Einwohner haben Angehörige und ihr Hab und Gut verloren und leben nun in Notunterkünften. Allerdings ist denkbar, dass man in einem durch Beben und Wasser verwüsteten Gebiet wieder Fuß fassen kann, jedoch in einem radioaktiv verseuchten Gebiet ist dies auf absehbare Zeit kaum mehr möglich.

Quellen: Zwei GRS-Bericht /Link1/, /Link2/ und ein Artikel aus Physik Journal 11(2012) Nr. 3, Seite 6 u. 7


Korruption

„In Japan gibt es seit langem, vor allem in den vergangenen 10, 20 Jahren, vielerlei Formen der Unterdrückung, wenn vor Gefahren der Atomenergie gewarnt wird.“ Es existiert in Japan ein Netz der Atomlobby, in dem Personen, die sich für die Atomenergie einsetzen, großzügig gefördert werden, während für andere, die Kritik an der Atomkraft üben oder auf Mängel in Kernkraftwerken hinweisen, die Karriere verbaut ist. Dies gilt auch für Universitätsprofessoren. Über 100 Abgeordnete haben direkt Geld von TEPCO bekommen. So fand auch häufiger ein Personalwechsel von hohen Positionen von TEPCO zu den Aufsichtsgremien und zu politischen Ämtern und umgekehrt statt. In Japan werden diese Vorgänge als „Atomdorf“ bezeichnet. Aufgetretene Probleme in den Kernanlagen wurden vertuscht oder verharmlost. Man kann davon ausgehen, dass auch Prüfungsberichte gefälscht wurden, um Mängel zu verheimlichen. Da die japanische Bevölkerung ziemlich obrigkeitshörig ist, hat dieses System gut funktioniert, bis am 11. März 2011 der Tsunami kam. Selbst danach wurde die Katastrophe kleingeredet, bis es augenscheinlich war, dass es zu schweren Explosionen gekommen war und auf Grund von Messungen der Radioaktivität außerhalb des Kernkraftwerksgelände nicht mehr verheimlicht werden konnte, dass Brennstäbe und ihr Einschluss (z. B. Reaktorbehälter oder Kreislauf) zumindest undicht geworden sind. Es ist deshalb und, weil der Zutritt zur Anlage wegen der Radioaktivität nur sehr eingeschränkt möglich ist, auch heute noch schwierig, ein objektives Bild von der Lage dort zu erhalten. Außerdem glauben wir, dass TEPCO immer noch versucht, den Unfall herunter zu spielen (ZDF-Sendung „frontal 21“ vom 06.03.2012 /Link/).

Wir glauben, dass, wenn die Anlage Fukushima 1 ordnungsmäßig betrieben worden wäre, die Reaktoren vielleicht irreparabel beschädigt worden wären, sie aber das Beben und den Tsunami ohne Austritt von Radioaktivität auf bewohntes Gebiet überstanden hätten. Eventuell hätte „nur“ radioaktiv verseuchtes Kühlwasser ins Meer abgegeben werden müssen.


Folgende Mängel begünstigten u. E. die schwere Katastrophe:

Die Notstromdiesel befanden sich teilweise in den Maschinenhäusern, die direkt am Meer standen, und teilweise hinter den Reaktorgebäuden. Maschinenhäuser werden im Unterschied zu den Reaktorgebäuden normalerweise relativ leicht gebaut: Sie waren nicht gegen einen so heftigen Tsunami ausgelegt. So wurden die Einbauten in den Maschinenhäusern vom Tsunami beschädigt oder wie die Notstromdiesel zerstört.

Die Auslegungshöhe gegen einen Tsunami für Fukushima 1 wurde im Jahr 2002 auf 5,7 m festgelegt. Zum Schutz der Anlage befand sich meerseitig eine 10 m hohe Mauer. Die Stärke 9 des Erdbebens war zwar ungewöhnlich hoch, die Höhe des dadurch erzeugten Tsunamis aber nicht. Es gab durchaus vorher kleinere Erdbeben, die aber höhere Tsunamis ausgelöst haben. Dies war auch den Verantwortlichen in Japan klar. Wir vermuten, dass aus Kostenersparnis in den Entscheidungsgremien eine Erhöhung der Auslegungshöhe gegen Tsunamis verschleppt wurde.

Ob und wie weit die Notbatterien einsatzfähig waren, wissen wir nicht. Es sieht so aus, dass auch diese von dem Tsunami zerstört wurden. Außerdem waren sie sowieso nur für eine Notversorgung von 8 Stunden vorgesehen, spätestens danach hätte zumindest ein Teil der Dieselgeneratoren wieder funktionieren müssen.

Das Problem, dass sich Wasserstoff in den Reaktorgebäuden ansammeln kann und wie dann zu handeln ist, wurde offenbar vorher außer Acht gelassen (aus finanziellen Gründen?). Das war - wie sich zeigte - ein grober Fehler.

Offenbar waren, als der Unfall eintrat, auch einige Ventile nicht in der richtigen Stellung. Manche Bedienungsabläufe waren wohl chaotisch. Es ist heute noch unklar, warum Sicherheitseinrichtungen, (Notkondensator), über die die Anlage verfügte, nicht besser genutzt wurden. Aus unserer Sicht kann keine noch so gut ausgebildete Mannschaft bei so einem Störfall einen Reaktor bedienen, wenn nicht vorher festgelegt und geübt worden ist, welche Maßnahmen in Notfällen aller Art zu ergreifen sind. Wir wissen nicht einmal, inwieweit die Mannschaft die ungeheure Naturkatastrophe überhaupt überlebt hat.

Es war offenbar vorher auch unterlassen worden, Maßnahmen zu treffen, wie bei einem innerlich zerstörten Reaktor von außen Rettungsmaßnahmen durchgeführt werden können, z. B. durch Bereitstellen von Notstromaggregaten, Stromleitungen, Pumpen, Schläuchen und Rohre. Selbst die Dosimeter waren Mangelware. Es mutet schon recht hilflos, fast lachhaft an, dass man schließlich einen Betonmischer mit Pumpe zur Reaktorkühlung und auf unausgebildete Leute zurückgreifen musste. Auch Hilfe vom Ausland wurde anfangs sehr zögerlich angenommen.

Roboter standen zunächst auch nicht zur Verfügung, die in Fukushima 1 anstelle von Menschen hätten eingesetzt werden können.

In den einzelnen Lagerbecken waren zu viele Brennstäbe. Die Lagerbecken über den Reaktoren sollten nur dazu dienen, Brennstäbe vorübergehend aufzunehmen, etwa wenn ein Reaktor gewartet werden muss oder Brennstäbe auszutauschen sind.

Es ist absehbar, dass in Japan bald kein geschultes Personal für Fukushima 1 mehr zur Verfügung stehen wird, da Menschen nur solange in einem Kernkraftwerk arbeiten dürfen, bis sie den jährlich erlaubten Grenzwert für die Strahlendosis erreicht haben. Ca. 20 000 Personen waren im Jahr 2011 bereits in Fukushima 1 im Einsatz. Damit die einzelnen Arbeiter länger in der Anlage arbeiten dürfen, hat das zuständige Ministerium den Grenzwert für die Strahlendosis schon von 100 mSv pro Jahr auf 250 mSv pro Jahr hochsetzt. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt der Grenzwert für Mitarbeiter in AKWs nur 20 mSv pro Jahr. Wer einmal 250 mSv erreicht hat, darf sein ganzes Leben lang kein AKW mehr betreten. Die natürliche Strahlenexposition der Bevölkerung beträgt im Mittel ca. 2 mSv pro Jahr, hinzu kommen nochmals ca. 2 mSv pro Jahr durch zivilisatorische Strahlenexposition - im Wesentlichen bei der Röntgendiagnostik.


Wieweit sind deutsche Kernkraftwerke betroffen?

So starke Erd- bzw. Seebeben wie in Japan und Tsunamis gibt es in Deutschland nicht und die deutschen Reaktoren sind besser gebaut.

Es bleiben dennoch Fragen:

  • Können deutsche Anlagen Zerstörungen in den Maschinenhäuser (etwa durch Flugzeugabsturz, terroristischer Anschlag) verkraften?
  • Sind größere Wasserstoffansammlungen im Reaktorgebäude auch dann beherrschbar, wenn der elektrische Strom ausgefallen ist?
  • Sind Maßnahmen und Handlungsabläufe vorgesehen, wenn Ventile und Pumpen wegen Stromausfalls nicht mehr funktionieren? - Z. B. die Bedienung von Ventilen per Hand und extern betriebene Notpumpen.
  • Wie weit sind die deutschen Anlagen ertüchtigt, so dass von außen Hilfsmaßnahmen möglich sind und wie weit ist das Equipment dazu vorhanden?
  • Ist genügend Fachpersonal vorhanden, so dass auch bei Ausfall einer ganzen Mannschaft eines Kernkraftwerkes Ersatzpersonal zur Verfügung steht?
  • Stehen Roboter zur Verfügung, um in Kernkraftwerken wichtige Arbeiten ausführen zu können?

Solche Fragen müssen - so weit nicht schon geschehen - jetzt geklärt werden.


Fazit:

Dass das Unglück in Fukushima 1 solche Ausmaße angenommen hat, ist u. E. nicht auf das „Restrisiko“ (z. B. unvorhersehbare Naturereignisse), sondern auf Korruption zurückzuführen. Wir glauben, dass in Deutschland die Korruption von einigen Entscheidungsträgern (Politiker, Wirtschaftsbosse) dazu genutzt wird, sich persönlich zu bereichern. Allerdings ging die Korruption auch hier schon auf Kosten von Qualität und Sicherheit, wie z. B. das schwere Unglück beim U-Bahnbau in Köln beweist. Die Korruption scheint bei uns in Deutschland aber nicht solche Ausmaße angenommen zu haben, dass die Sicherheit in den Kernkraftwerken davon bedroht ist. Dies liegt daran, dass wir uns auf völlige Transparenz in Bezug auf Kernkraftwerke verständigt haben, so dass auch Kernkraftwerksgegner in der Lage sind, konstruktive Kritik zu üben. Dabei wird auch im Unterschied zu Japan in Kauf genommen, dass unterschiedliche Meinungen zur Kernenergie unversöhnlich im Raum stehen. Wir sind eine Demokratie und da kann sich eine Mehrheit auch gegen Kernenergie bilden und entscheiden.
Die in der Kernindustrie arbeitenden Personen und die Entscheidungsträger sollten möglichst sachgerecht agieren und auch wirtschaftliche Interessen sollten offen benannt werden.
14.03.2012 gmr


Nachtrag vom 26.05.2012

Energieversorgung in Japan im Vergleich mit Deutschland

In Japan wurde am 05. Mai 2012 das letzte Atomkraftwerk (AKW) zur Revision abgeschaltet. Damit sind alle 50 AKWs in Japan abgeschaltet.
In Japan muss jedes AKW nach spätestens 13 Monaten zur Revision abgeschaltet werden (ähnlich wie bei uns in Deutschland). Nach erfolgter Revision und Kontrollen muss dann jedes Mal eine neue Genehmigung von den lokalen Behörden (Präfekturen) erfolgen (im Unterschied zu Deutschland, wo eine einmal erteilte Genehmigung so lange gilt, wie am AKW nicht etwas geändert wird, was neu genehmigt werden müsste). Während vor dem Atomunfall in Fukushima die Genehmigung durch die japanischen lokalen Behörden nur eine Formsache war, will jetzt keine der Behörden aus Rücksicht auf die Bevölkerung eine neue Genehmigung erteilen, so dass z. Z. alle AKWs heruntergefahren sind. Die japanische Regierung in Tokio möchte jedoch zumindest einen Teil der AKWs wieder ans Netz bringen, weil sie befürchtet, dass spätestens im Sommer, wenn die vielen Klimaanlagen laufen müssen, denn der Inselstaat Japan erstreckt sich von 24° 14‘ bis 45° 31‘ nördlicher Breite, also von den Tropen (Kioshu) bis zu den gemäßigten Breiten (Hokkaido). Der größte Teil der japanischen Inseln liegt in den Subtropen. Der elektrische Strom könnte dann knapp werden. Bis jetzt hofft die Regierung in Tokio jedoch vergeblich, denn inzwischen sind die Antiatombewegungen in Japan einflussreicher geworden. Außerdem sieht es für uns so aus, als ob bei kritischer Analyse der Sicherheit der japanischen AKWs ohnehin nur ein Teil der AKWs weiterbetrieben werden könnte oder größere Umrüstungen erforderlich sind.

Energieeinsatz in Japan für die Stromerzeugung in Prozent,
in […] die Zahlen für Deutschland zum Vergleich

Fossile Brennstoffe   65,7 % [56,1 %]
Kernenergie           23,9 % [22,8 %]
Erneuerb. Energien    10,4 % [15,9 %]
Sonstige (Importe?)    0,0 % [ 5,2 %]

Japan und Deutschland sind sich als Industrienationen sehr ähnlich und haben ungefähr den gleichen Gesamtenergieverbrauch pro Kopf. Der Stromverbrauch pro Kopf ist in Japan jedoch etwas höher (mehr). Dies könnte daran liegen, dass in Japan weniger als in Deutschland geheizt wird, dafür aber im Sommer mehr Klimaanlagen laufen.

Wie die Tabelle zeigt, kam vor der Fukushima-Katastrophe in Japan knapp ein Viertel des benötigten elektrischen Stromes aus AKWs, ähnlich wie es bis 2011 auch in Deutschland war. In Japan muss jetzt der gesamte Strom, der vorher von AKWs erzeugt wurde, zusätzlich mittels mit fossilen Brennstoffen (Kohle, Gas, Öl) betriebenen Kraftwerken erzeugt werden oder der Strom muss eingespart werden. Da es, wie oben erwähnt, in den Sommermonaten zu Engpässen kommen kann, schließt Japan zurzeit mit mehreren Ländern Verträge über zusätzliche Lieferungen von Erdgas (Flüssiggas, das in Tankschiffen transportiert wird) ab. Die zusätzliche Erdgaseinfuhr, die Entschädigungszahlungen an die Opfer der Fukushima-Katastrophe und die staatliche Unterstützung der Stromerzeuger, die sonst in Konkurs gehen würden, treiben die Strompreise massiv in die Höhe. Deshalb wird in Japan sehr darum gerungen, ob nicht doch wieder einige AKWs eingeschaltet werden sollen. Japan ist als Inselstaat an kein internationales Stromnetz angeschlossen, es kann daher keinen Strom importieren. Die regenerativen Energien spielen mit Ausnahme der Wasserkraft nur eine untergeordnete Rolle und sind aus unserer Sicht noch viele Jahre nicht in der Lage, die Stromlücke zu schließen. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass es zu Stromabschaltungen kommen wird, wenn die erzeugte elektrische Energie nicht ausreicht /Link/.

In Deutschland ist die Lage insofern etwas entspannter, da der Ausstieg aus der Kernenergie nicht ganz so schlagartig erfolgt und wir über das europäische Verbundnetz Strom aus Nachbarländern importieren können. Die Windkraft kann in Deutschland leichter ausgebaut werden als im erdbebengefährdeten Japan. Aber auch in Deutschland wird man nicht umhin kommen, mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke zu bauen. Auch wir werden - wie jetzt schon Japan – noch stärker von Gaslieferungen abhängig sein, was sich im Energiepreis niederschlagen wird. Die Energie ist jetzt schon teurer geworden. Auch in Deutschland ist mit Stromausfällen zu rechnen, wenn z. B. auf Grund eines technischen Fehlers ein Kraftwerk oder eine elektrische Leitung ausfällt, da keine Reserven mehr zur Verfügung stehen. Und der Preis für die Energie wird weiter steigen!

Nicht nur eine politische und technische Herausforderung: Der steigende Energiepreis kann u. E. nicht mit höheren Lohnsteigerungen, Anstieg der Rente u. ä. kompensiert werden, da sowohl Deutschland als auch Japan den größten Teil ihrer Energie aus dem Ausland importieren müssen. D. h. Gewinne in der Industrie werden durch höhere Einkaufspreise für Energie verringert und stehen deshalb nicht mehr der eigenen Volkswirtschaft zur Verfügung. Lohnsteigerungen, um nur die Energiepreise zu kompensieren, heizen die Inflation an, bringen am Ende aber keinen realen Einkommensgewinn. (Dagegen halten wir solche Lohnsteigerungen für notwendig und geboten, die dazu dienen, dass die Einkommen und Vermögen der Reichen nicht mehr schneller wachsen als bei der Masse der Bevölkerung.)
Insbesondere für uns in Deutschland gilt: Der Umbau der Energieversorgung darf sich nicht nur mit Parolen: „Raus aus der Kernenergie“ und „Energie muss gespart werden“ und „Wir wollen regenerative Energie und moderne Stromnetze - aber bitte nicht vor unserer Haustür“ erschöpfen. Hochspannungsleitungen und Windmühlen verschandeln nun mal die Landschaft, wir werden sie aber ertragen müssen, solange sie nicht unsere Gesundheit gefährden. Alle Verantwortlichen in unserer Gesellschaft müssen sich lösen von Ideologien, Parolen und Blockaden, sondern helfen, Machbares voranzubringen.
26.05.2012 gmr


Nachtrag vom 20.03.2013

Die Fukushima-Katastrophe - 2 Jahren danach

Am 11. März 2013 jährte sich die Katastrophe von Fukushima zum zweiten Mal. In der Internetseite des „Physik Journal“ /Link/ ist zu diesem Anlass ein Artikel mit weiterführenden Quellenangaben erschienen /Link/, in dem auf den aktuellen Stand der Reaktorkatastrophe eingegangen wird.

Wie oben beschrieben, überflutete am 11. März 2011 ein von einem Erdbeben ausgelöster Tsunami die Küstenregion Fukushima und richtete dort große Verwüstungen an. Dabei kamen ca. 19 000 Menschen (einschließlich der Vermissten) durch diese Flutwelle ums Leben und über 300 000 Menschen leben heute noch in Containern. Ca. 400 000 Gebäude wurden von der Flutwelle zerstört /Link1/, /Link2/.

Zu dieser schlimmen Katastrophe kam noch die aus den vier Reaktorblöcken ausgetretene Radioaktivität hinzu, im wesentlichen Jod-131 und Cäsium-137 (Beiträge zur Radioaktivität ca. 90 % und 10 %). Man geht heute davon aus, dass diese Radioaktivität fast nahezu (zu 99 %) im März 2011 ausgetreten ist und in den nachfolgenden zwei Jahren kaum noch Radioaktivität (1 %) freigesetzt wurde. (In den Kernkraftwerksblöcken und deren BE-Lagerbecken befindet sich immer noch der größte Teil der radioaktiven Stoffe.) Die insgesamt ausgetretene Radioaktivität beträgt etwa 10 % der in Tschernobyl freigesetzten Radioaktivität. Auf Grund der kurzen Halbwertszeit von Jod 131 (Halbwertszeit 8 Tage) dürfte dieses weitgehend verschwunden (24 Monate*30 Tage / 8 = 90; 0.5-90 = 1•10-27) sein. Dahingegen ist das radioaktive Cäsium (Halbwertszeit 30 Jahre) praktisch noch vollständig vorhanden. Ein großer Teil dieser Radioaktivität wurde vom Wind auf den Pazifik getrieben, der Rest allerdings wurde in einen größeren Umkreis der Reaktoren übers Land verstreut. Man wird also in weiten Gebieten u. a. alle Oberflächen (z. B. von Gebäuden) reinigen und das Erdreich an der Oberfläche abtragen müssen. Vorher können die Menschen diese Gebiete nicht bewohnen. Man steht also vor einer Herkules-Aufgabe.

Auch das Meer um die Kernanlage herum ist verseucht, da in großen Mengen Kühlwasser unbereinigt ins Meer geflossen war. D. h. die Fische und Meeresfrüchte dort dürfen auch heute noch nicht verzehrt werden.

Durch die bei der Reaktorkatastrophe freigesetzte Radioaktivität ist es jedoch bisher zu keinen ernsthaften Gesundheitsschäden oder gar Todesfällen gekommen. Wir halten es daher für unverantwortlich, wenn Politiker (z. B. der Grünen) mit aufgesetzter Betroffenheitsmine den Eindruck erwecken, die Reaktorkatastrophe hätte zu 19 000 Toten geführt, um damit Stimmung gegen die Kernkraft zu machen /Link/. Die Wirklichkeit ist schon schlimm genug.

Da nicht alle Menschen 2011 die betroffenen Gebiete schnell genug verlassen konnten, ist allerdings mit Spätfolgen der Radioaktivität (Leukämie und Krebs) zu rechnen. Dies betrifft vor allem ca. 25 000 Personen, die in der Anlage oder in den verseuchten Gebieten arbeiten mussten. Da durch den Tsunami auch die Gebäude mit den Dosimetern zerstört wurden, standen am Anfang kaum Dosimeter zur Verfügung, so dass die Strahlenbelastung dieser Personen nur ungenau ermittelt werden konnte. Man rechnet damit, dass das Risiko, an Leukämie oder Krebs zu erkranken, statistisch gesehen geringfügig ansteigen wird.

Es wurden insgesamt ca. 146 000 Menschen aus den betroffenen Gebieten evakuiert. Außerdem wurden Jodtabletten ausgegeben, die aber wohl nur teilweise eingenommen wurden. Mit diesen Jodgaben soll dem Körper so viel stabiles Jod zugeführt werden, dass er kein evtl. in der Umgebung oder Nahrung vorhandenes radioaktives Jod mehr aufnehmen kann. Spätfolgen durch die Evakuierungsmaßnahmen (z. B. Häufung von Depressionen, Suchterkrankungen) sind noch nicht abschätzbar.

In den vier Reaktorblöcken ist jetzt eine funktionierende Notkühlung installiert und die Gebäude sind soweit notdürftig instandgesetzt worden, dass ab 2014 mit der Entfernung der Brennelemente aus den BE-Lagerbecken der vier Blöcke begonnen werden kann. Dies wird voraussichtlich bis 2022 dauern. Während dieser Zeit soll auch das kontaminierte Wasser gereinigt werden. Ab 2022 soll dann mit der Bergung und Entsorgung der Brennelemente in den Reaktoren begonnen werden. Dies könnte dann noch weitere 20 bis 30 Jahre dauern.

Wir können nur hoffen, dass es in dieser Zeit zu keinem neuen Tsunami kommt und dadurch die notdürftig aufgebaute und störanfällige Notkühlung erneut zerstört wird.

Als Quelle für diesen Nachtrag wurde im Wesentlichen der GRS-Bericht „Fukushima Daiichi Unfallablauf | Radiologische Folgen“ vom 11. März 2011 (GRS-S-53) benutzt /Link/. Interessierte Leser finden dort viele aktuelle Informationen zur Fukushima-AKW-Katastrophe.
20.03.2013 r

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